2022 Sommersemester

Die „letzte öffentlich-intellektuelle Großkontroverse der alten Bundesrepublik“, wie Eberhard Rathgeb den Historikerstreit bezeichnet, drehte sich um die Frage der Singularität der Shoah, im Weiteren je-doch auch um die Interpretation des Dritten Reiches allgemein, theoretische Betrachtungen des Faschismus sowie die Erinnerungskulturin Deutschland. Ausgelöst durcheinen Artikel Ernst Noltes in der FAZ im Juni 1986 und Jürgen Habermas‘ Antwort darauf in der Zeit, spaltete sich die anschließende Debatte in zwei Lager: Zum einen diejenigen, „die den sozialliberalen Zeitgeist des vorangehenden Jahrzehnts in geschichtspolitischer Absicht einer konservativen Revision zu unterziehen versuchten“(Große Kracht), zum anderen diejenigen, die die Einzigartigkeit des Holocausts als zentralen Bezugspunkt der deutschen kollektiven Identität betonten. Die Aktualität des Historikerstreits ist nicht nur durch dessen großen Einfluss auf nachfolgende Debatten und Forschung zu erkennen; wenn bei Impfgegner und Neuen Rechten Auschwitz-, Faschismus- und Diktaturvergleiche (wieder) en vogue sind und nach den Antisemitismus-Vorwürfen an Achille Mbembe 2020 über einen möglichen „neuen“ Historikerstreit diskutiert wird, ist und bleibt das Beschäftigen mit der Frage nach der Singularität der Shoah, gerade im deutschen Kontext, essenziell, deren deutlichste und inhaltliche Grundlage im Historikerstreit zu finden ist. In diesem autonomen Tutorium soll der Historikerstreit zusammen aufgearbeitet und dessen Thesen und Perspektiven theoretisch eingebettet werden. Dazu werden wir die zentralen Texte des Streits im zeitgeschichtlichen Kontext und übertragen auf die heutigen Diskurse lesen und diskutieren.


Kontakt: Nicolas Reichert, Email: n.reichert@stud.uni-frankfurt.de

Das Leselabor ist ein Seminar, das alle Studierenden einlädt, die gerne mal über den Tellerrand der eigenen Disziplin schauen wollen. Als Grundlage für gemeinsames Diskutieren und Experimentieren werden wir einen bunten Strauß an Texten lesen, von geisteswissenschaftlicher Theorie, zu naturwissenschaftlicher Papern und Science Fiction. Da Theorie nicht nur dazu da sein soll von Studierenden gelesen und nach dem Semesterende vergessen zu werden, werden alle Teilnehmenden bis zum Abschluss des Seminars eine Eigenleistung auf Grundlage eines der gelesenen Texte erstellen. Diese kann geschrieben, gedichtet, gephotoshoppt, plakatiert, programmiert oder komponiert werden, je nachdem aus welcher Disziplin und mit welchem Skillset ihr kommt. Letztendlich zielt dieses Seminar darauf ab zusammen eine interdisziplinäre Perspektive zu entwickeln, wo sie die Fächer aus denen wir kommen herausfordert und wie sie Grundlage unseres Handelns werden kann.



Kontakt:  Leselabor, Email: leselaborantin@posteo.de

Die Achterbahn, in der wir sitzen anzuhalten, funktioniert nicht und ihre Entgleisung, auf die einige seit Jahrzehnten warten, scheint nicht einzutreten, egal wie sehr das Gerüst auch bröckeln mag. Gleichzeitig vermag es keinen Platz mehr für Utopien zu geben. Während Utopien nämlich ein Dasein als unrealisierbare Hirngespinste, als nie erreichbare Traumziele fristen, verfestigen sich kapitalistische Strukturen wie eh und je, gekonnt stilisiert in vermeintlicher Alternativlosigkeit. Um Utopien umsetzbar und (er)lebbar werden zu lassen, braucht es andere Konzeptionen solidarischer Visionen, solche die das Utopische wieder im hier und jetzt verankern, solche die das Neue aus den widerspenstigen Ritzen und Fugen des Alten denken.
Dafür kann ein Verständnis von Commons als eine Praxis des Widerstandes, Perspektiven aufzeigen, wie sich neoliberalen Einhegungen widersetzt werden kann. Vielmehr gilt es durch solidarische Beziehungsweisen und kollektive Besitzverhältnisse, einen Rahmen zu schaffen, in dem partizipative, inklusive und bedürfnisorientierte Prozesse möglich sind; in dem Raum für die Frage ist: Wie wollen wir eigentlich zusammenleben?
Am Ende des Tages, kann sich gegen kapitalistische Vereinzelung, Konkurrenz und Ausbeutung organisiert werden. Es ist möglich solidarische Strukturen aufzubauen, sich kollektiv Ressourcen anzueignen, oder Institutionen zu nutzen und zu beklauen. Schließlich kann existenzieller Stress auch an diejenigen zurückzugeben werden, die ihn verursachen! In den dadurch entstehenden Räumen gibt es mehr Luft zum Atmen, um darüber nachzudenken, wie Utopien und Begehren in die Realität übersetzt werden können. Wir freuen uns darauf mit euch darüber zu streiten, wie ein gerechteres Jetzt auf dem Weg zu einem gerechten Morgen aussehen kann!

 

Kontakt: Ludwig Nussbaumer, Email: bzw-commons@riseup.net

„Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden“ schrieb Theodor W. Adorno in seiner Minima Moralia. Aber was bedeutet das? Wie lässt sich Antisemitismus theoretisch fassen? Um sich dieser Frage anzunähern, wollen wir uns in diesem Tutorium mit verschiedenen Ansätzen zur Erklärung des Antisemitismus beschäftigen. Das Tutorium soll aus drei wesentlichen Teilen bestehen. Im ersten Teil möchten wir uns mit grundlegenden Texten der Antisemitismuskritik beschäftigen, im zweiten Teil insbesondere mit den Elementen des Antisemitismus von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Im dritten Teil wollen wir dann versuchen die wesentlichen Kontinuitäten aber auch Veränderungen des Antisemitismus vom Holocaust bis in die Gegenwart nachzuvollziehen. Dabei soll ein Augenmerk insbesondere auf die antisemitischen Tendenzen der “Corona-Demos“, aber auch auf antizionistischen Antisemitismus und Postnazismus gelegt werden.

 

Kontakt: Hendrik Hebauf, Email: s5688357@stud.uni-frankfurt.de

Wie sind rassistische Strukturen in Demokratien historisch entstanden und wie können sie fortbestehen? Wie sind unsere Demokratien beschaffen, dass sie ihre eigenen Versprechen von Menschenrechten nicht einhalten können oder wollen? Sind sie bisher einfach defizitär oder ist es für demokratische Staaten gar nicht wichtig, Rassismus zu verhindern, weil es ökonomisch von Vorteil ist? Diese Leifragen sollen den Rahmen für das Tutorium geben. Zunächst sollen historische Beispiele wie die Plantagensklaverei in den USA und die Revolution in Haiti in das Thema einführen. Daran anknüpfend sollen unterschiedliche realpolitische, philosophische und politiktheoretische Facetten diskutiert werden, die von illegalisierter Migration nach Europa über Moralität und Demokratie bis zu eurozentrischen Demokratiekonzepten, Nationalismus und ein Recht indigener Völker auf demokratische Selbstbestimmung reichen. Zum Ende wollen wir auch nach Alternativen rassismussensiblen demokratischen Zusammenlebens und globaler Solidarität suchen. Weitere Ideen und Ergänzungen sind herzlich willkommen. 

 

Kontakt: Marisa Kruchen, Email: m.kruchen@stud.uni-frankfurt.de

Was haben nomadische Klangesellschaften mit dem Kapitalismus zu tun? Was verrät uns die sumerische Mythologie über die Entstehung des Patriarchats? Warum sprechen wir von Sozialer Ökologie? All diese Fragen thematisieren zentrale Ansätze des sogenannten Demokratischen Konföderalismus, den wir in diesem Tutorium kennenlernen und diskutieren wollen. Der DK ist dabei einerseits eine Philosophie, die feministische, ökologische, antikapitalistische und antikoloniale Ansätze verbindet. Andererseits bezeichnet der DK auch die politisch-ethische Gesellschaft, die sich selbst organisiert und verwaltet. Gelebt und praktiziert wird der DK heute z.B. in den vom IS befreiten Gebieten in Rojava oder im selbstverwalteten Flüchtlingslager Mexmûr. Wir laden Studierende aller Fachrichtungen ein. Im ersten Teil wollen wir die Grundlagen lernen und diskutieren. Wir werden uns zum Beispiel mit der Jineoloji (Wissenschaft der Frau), der neolithischen Revolution oder der Sozialen Ökologie beschäftigen. Im zweiten Teil wollen wir richtig kreativ werden! In Gruppenarbeit sollen verschiedenste Themen und Fragen nach Wunsch der Teilnehmer*innen erarbeitet werden und in den letzten Sitzungen dem Plenum vorgetragen werden. Auch Referent*innen können eingeladen werden. 

 

Kontakt: YXK/JXK – Verband der Studierenden aus
Kurdistan/Verband der Studierenden Frauen aus KurdistanEmail: at_demokr_konf@protonmail.com

„Der Mythos von den Juden, die sich wie die Schafe zur Schlachtbank hätten führen lassen, gehört zu den letzten historischen Lügen, die alle Phasen der „Betroffenheit“ und der „Aufarbeitung“ der jüngeren deutschen Geschichte überdauert haben.“ (Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod, Das Buch vom Widerstand der Juden 1933-1945, Köln 2002. S. 592.)

Entgegen dem Bild, es habe keinen jüdischen Widerstand während dem Holocaust gegeben, wollen wir gemeinsam erarbeiten, welche Formen des jüdischen Widerstandes existierten und welche Auswirkungen diese auf die NS-Vernichtungspolitik hatten. Thematisch fokussieren wir uns dabei auf das ehemalige „Generalgouvernement“, das nach der Besetzung und Aufteilung Polens durch die Nationalsozialist*innen als Experimentierfeld der NS-Siedlungs- und Germanisierungspläne diente sowie einer der Haupttatorte der NS-Vernichtungspolitik gegenüber Europas Jüdinnen*Juden war. Neben der Untersuchung der jüdischen Untergrundpolitik wird ein Fokus dabei auf den Aufständen im Warschauer Ghetto und den Vernichtungslagern der sogenannten „Aktion Reinhardt“ liegen: Sobibór und Treblinka. Jüdische Wehrhaftigkeit wurde während des Nationalsozialismus stets unter Beweis gestellt, diese Dokumente gilt es nun in den Blick zu nehmen und zu kontextualisieren. Im Anschluss an das Autonome Tutorium wollen wir im August 2022 die thematisierten Orte im Rahmen einer sechstätigen Gedenkstättenfahrt mit Dr. Andreas Kahrs vom Bildungswerk Stanislaw Hantz besuchen. Dabei soll Warschau als Ausgangspunkt der Gedenkstättenfahrt dienen und von dort aus Lublin, die Gedenkstätten Majdanek, Sobibór und Belzec besucht werden.

 

Kontakt: Mona Müller und Leonie Wüst, Email: atgedenkstaettenfahrt@gmail.com

Die Natur steckt in der Krise und die Menschheit mit ihr. Wir wollen mit unserem studentischen Projekt zu future ecologies bei den naturellen und kulturellen Veränderung des Lebens auf einem sterbenden Planeten ansetzen und von dem, was da ist, in die Zukunft blicken. Welche Idee und Wirklichkeit von Natur haben wir? Wie lässt sich der Boden unter unseren Füßen bewahren, wie unsere Beziehung zu Tieren, Pflanzen, Mitmenschen anders gestalten? Welche Begriffe, Ressourcen, Geschichten, Formen und Beispiele stehen uns dazu in der Wissenschaft zur Verfügung?

Als Ausgangspunkte zum Nachdenken über diese Fragen nehmen wir die dritte Staffel des Podcasts future ecologies sowie Perspektiven aus den Science and Technology Studies und der Kulturanthropologie. In einem Hörkreis wollen wir Themen wie Naturschutz, Wildnis, Renaturierung, Mensch-Umwelt-Beziehungen besprechen und den Podcast mit zusätzlichen Materialien ergänzen, insbesondere durch Verbindungen zu Anna Tsings Buch The Mushroom at the End of the World (2015). Mit diesen Inhalten möchten wir uns auch auf experimentelle, kreative und kollektive Weise (z.B. Fotografie, körperbasierte Methoden, Kunst) auseinandersetzen. Zusätzlich planen wir Ausflüge, z.B. zu den Frankfurter PermaKulturInseln. 

Wir möchten einen respektvollen und niedrigschwelligen Raum schaffen, der allen interessierten Menschen offensteht und zum Mitgestalten einlädt. Bei Interesse oder Fragen freuen wir uns über eine Nachricht von euch!

 

Kontakt: Annika Burghoff, Email: burghoff@stud.uni-frankfurt.de

Bologna ist im Universitätskontext zu einem wichtigen Schlagwort geworden, dass gemischte Reaktionen hervorruft. Knapp zwei Jahrzehnte nach der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung hat sich unter dem Deckmantel der „Harmonisierung“, „Internationalisierung“ und Steigerung der „Beschäftigungsfähigkeit“ an den Universitäten viel verändert – in den Augen der Kritiker*innen wenig davon zum Guten. Doch was genau ist im Zuge von Bologna geschehen? Welche Konsequenzen hat dies für unser Studium heute? Und wie wollen wir damit umgehen?

In diesem Tutorium wollen ausgehend von selbstgewählten Texten zur Bolognareform zunächst nachvollziehen, wie sich das deutsche Universitätssystem verändert hat, um uns dann einer Analyse der aktuellen Situation (besonders aus studentischer Perspektive) zu widmen. Darauf aufbauend sollen gemeinsame Ideen entstehen und überlegt werden, welche Interventionsmöglichkeiten bestehen und wie im Universitätsalltag Räume für Kritik und Utopie geschaffen werden können.

Das Tutorium setzt keine Vorkenntnisse voraus, wird basisdemokratisch organisiert sein und ist offen für alle, die Lust haben sich kritisch mit dem Bolognaprozess auseinanderzusetzen und dieser Kritik aktiv Ausdruck zu verleihen. Termine und alle weiteren Aktionen werden innerhalb der Gruppe abgestimmt.

 

Kontakt: Clara Gutjahr, Email: clara.gutjahr@stud.uni-frankfurt.de